Ein Vortrag von Prof. Leisinger an der Hochschule für Philosophie München.
Prof. Leisinger, ein renommierter Wissenschaftler und Führungskraft, untersucht, wie ethische Prinzipien in betriebliche Entscheidungsprozesse eingebunden werden können. Er entwickelt ein Konzept, das verantwortungsethische Überlegungen in pragmatische Managementansätze integriert, um den Anforderungen einer global vernetzten Welt gerecht zu werden. Im Zeitalter des Anthropozäns, in welchem menschlicher Einfluss auf Natur und Gesellschaft groß ist, betont Prof. Leisinger die besondere Bedeutung von Verantwortung. Laut einer Studie, die im Harvard Business Review veröffentlich worden ist, erwarten 73 % der Befragten, dass Unternehmen neben der Gewinnerzielung auch das Wohl aller Stakeholder berücksichtigen.
Dies wirft die Frage auf, wer genau diese Stakeholder sind und welche Strategien im Umgang mit ihnen für alle Beteiligten erfolgversprechend sind. Prof. Leisinger beschäftigt sich auch mit der Frage, wie ethisches Verhalten eines Unternehmens in der heutigen Gesellschaft konkret aussieht, wer dieses vorantreiben kann und wem es zugutekommt
Die drei Dimensionen unternehmerischer Verantwortung:
Zur Eingrenzung des Umfangs ethischen Handelns definiert Prof. Leisinger drei wesentliche Dimensionen:
- Muss-Dimension
- Soll-Dimension
- Kann-Dimension
Während die Muss-Dimension darauf abzielt, alle rechtlichen und regulatorischen Vorschriften einzuhalten, da deren Missachtung die Existenz des Unternehmens gefährden könnte, erweitert die Soll-Dimension diesen Rahmen indem siefordert, dass Unternehmen auch gesellschaftliche Erwartungen erfüllen. Die Muss-Dimension orientiert sich am Prinzip "Schaden vermeiden", während die Soll-Dimension die Legitimität des Unternehmens in der Gesellschaft sicherstellen soll. Zusammen betrachtet bilden diese beiden Dimensionen nach Prof. Leisinger die Good Management Practices.
Die Kann-Dimension versucht einen Beitrag zu Problemlösungen außerhalb des direkten Geschäftsinteresses zu leisten. Das können humanitäre Leistungen sein, aber auch Umweltinvestitionen, die weit über das gesetzlich Vorgeschriebene hinausgehen. Dieses Gesamtpaket kann man als vorbildliche Corporate Social Responsibility ansehen.
Die ethischen Überzeugungen der Manager sind entscheidend:
Laut Prof. Leisingers Konzept hängt die Umsetzung von Entscheidungen im Unternehmen maßgeblich von den Führungskräften ab, die die Verantwortung im Unternehmen tragen. Die ethischen Überzeugungen, der Wille und die Durchsetzungskraft der Manager entscheidend dafür sind, ob ein Unternehmen lediglich die minimalen rechtlichen Vorgaben einhält oder sich auch freiwillig für die Interessen anderer Stakeholder engagiert – sowohl gegenwärtig als auch zukünftig.
Die Ethiktheorie von Prof. Leisinger basiert auf der Prämisse, dass Menschen mit Würde, Freiheit und Verantwortung ausgestattet sind und dementsprechend handeln sollten, sowohl im persönlichen als auch im beruflichen Leben. Daher ist die Rolle der Führungskräfte im Unternehmen entscheidend, da sie sowohl den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens als auch dessen gesellschaftlichen Auswirkungen innerhalb und außerhalb der Organisation beeinflussen.
Führungspersönlichkeiten statt Manager
Doch welches Profil sollten solche Personen haben, die diese Positionen übernehmen? Und wie werden sie ausgewählt und motiviert, eine so hohe Verantwortung zu tragen?
Erich Fromms Anforderungsprofil für Führungspersönlichkeiten erscheint geeignet. Diese Personen sollten die Geisteshaltung der Fürsorge verinnerlicht haben, ein Verantwortungsgefühl gegenüber den Bedürfnissen anderer (ausgesprochen oder nicht) empfinden, andere achten und respektieren sowie sich selbst erkennen und realistisch einschätzen können. Führungskräfte sollen – nach ausgiebigen Gesprächen mit strategisch relevanten Stakeholdern - diejenigen Werte definieren, an denen das Unternehmen sein Handeln messen lassen will.
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die gut miteinander koexistieren können, aber auch teilweise oder in bestimmten Situationen im Widerspruch stehen – hier entstehen Dilemmata, die wiederum von der Führung eines Unternehmens aufgelöst werden müssen. Ein Unternehmen, das im marktwirtschaftlichen Wettbewerb steht, muss Leistungs-WERTE wie Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz und nützliche Produkte oder Dienstleistungen erfüllen. Gleichzeitig sollten soziale und ethische Werte nicht verletzt werden, beispielsweise Offenheit, Teamgeist, Loyalität, Respekt, Ehrlichkeit und Transparenz, die eine bessere Kooperation und Kommunikation sowohl innerhalb des Unternehmens als auch mit externen Stakeholdern fördern. Professor Leisinger nennt hier Werte wie Integrität, Wahrhaftigkeit, Mitgefühl und Ehrfurcht vor dem Leben zusammen mit wirtschaftlichen Leistungsfaktoren auf.
Ein ganzheitlicher und integrativer wirtschaftsethischer Ansatz
Aus einer Gesamtperspektive ist der ökologische Fußabdruck eines Unternehmens und seine Aktivitäten genauso wichtig wie die Beachtung einer zukunftsweisenden wirtschaftlichen Strategie. Die ökonomische Nachhaltigkeit soll mit ökologischer Nachhaltigkeit vereinbar sein und auch soziale Rahmenbedingungen berücksichtigen. Unternehmen sollten sich aktiv für Gewaltlosigkeit, Achtung vor dem Leben, Gerechtigkeit, Solidarität, Wahrhaftigkeit und Toleranz einsetzen.
An der Aufzählung all diesenr Bereichen der Wirtschaftsethik kann man entnehmen, dass für Prof. Leisinger Ethik nicht nur eine Frage des individuellen Gewissens ist, sondern auch ein soziales und institutionelles Phänomen, das die Normen, Werte und Praktiken von Gesellschaften und Organisationen prägt. Sein Ansatz zur Ethik ist ein ganzheitlicher und integrativer Ansatz, der die moralischen, rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimensionen menschlichen Handelns und Entscheidens berücksichtigt.
Gibt es ein Business Case für ethisches Handeln?
Prof. Leisinger sieht allerdings auch, dass es schwierig ist, all diese unterschiedlichen Werte in Einklang zu bringen. Als Praktiker weiß er, dass im Zweifelsfall die ökonomischen Werte dominieren. Auch wenn ein überzeugender Business Case für ethisches Handeln zumindest kurzfristig nicht wirklich existiert, ist die Gesellschaft zunehmend sensibler in Bezug auf wirtschaftliche Nachhaltigkeit und soziale Belange geworden (ESG-Kriterien). Der Markt verändert sich, weil die Gesellschaft erkennt, dass diese Themen für das Fortbestehen des Lebens auf der Erde von entscheidender Bedeutung sind, und zwingt dadurch Unternehmen dazu, ethische Themen zu priorisieren. Prof. Leisinger erkennt, dass vorbildliches Verhalten allein sich finanziell nicht auszahlt und dass ein konkurrenzfähiges Gesamtangebot sowohl am Markt als auch in der Gesellschaft notwendig ist.
Prof. Leisinger plädiert für einen vernünftigen und nicht belehrenden ethischen Ansatz im wirtschaftlichen und sozialen Umfeld. Dieser sollte über entsprechende Anreize sicherstellen, dass diejenigen, die bereit sind, sich ethisch korrekt zu verhalten, nicht benachteiligte werden. Das kann ein Unternehmen mit internen Richtlinien und verhaltens-Kodice machen, deren Einhaltung auch bei Mitarbeiter-Beurteilungen, Bonuszuteilungen und Beförderungskriterien belöhnt wird.
Die richtige Strategie im Umgang mit Stakeholdern finden
Ein wichtiger Aspekt des verantwortungsethischen Ansatzes von Prof. Leisinger ist der Umgang mit Stakeholdern. Unternehmen sollten versuchen, einen Dialog mit strategisch relevanten Stakeholdern aufzubauen, um Wege zu finden, die nicht nur im Unternehmen, sondern auch in einem breiteren gesellschaftlichen Umfeld auf Akzeptanz stoßen. Im Mittelpunkt dieser Beziehungen sollten Qualität und Legitimität der Teilnehmer stehen. Das erklärte Ziel aller Parteien sollte es sein, Vertrauen und Akzeptanz aufzubauen, was nur durch Förderung traditioneller Tugenden wie Fairness im Umgang, gegenseitigenr Respekt und Rücksichtnahme bei Verhandlungen erreicht werden kann. Wie jeder Manager, der multinationale oder internationale Unternehmen oder Teams geleitet hat, weiß Prof. Leisinger, wie schwer es ist, in solchen Situationen Vertrauen aufzubauen und wie schnell es verloren gehen kann. Daher plädiert er dafür, sich zunächst auf diejenigen Themen zu konzentrieren, bei denen wenig Kontroversen bestehen. Dadurch kann Vertrauen aufgebaut werden, das den Diskurs über schwierigere Themen erleichtert
Das Ziel ist es, sich schrittweise einem gemeinsamen Nenner für die Dimension derjenigen Leistungen anzunähern, die über die gesetzlichen Minima hinausgehen und dadurch ökologisch sowie sozial tragfähige Lösungen für Unternehmen zu entwickeln.
Braucht ethisches Wirtschaften einen Paradigmenwechsel?
Für aus einer Gesamtperspektive verantwortungsvolles Handeln und Verhalten braucht es den guten Willen, gesellschaftliche wünschbare Leistungen auch dann zu erbringen, wenn sie nicht zu unmittelbarem wirtschaftlichem Erfolg führen. Diese Einstellung in der freien Marktwirtschaft zu verankern, erfordert einen Paradigmenwechsel, da bisher die Interessen der Kapitalgeber überwiegend priorisiert werden. Die verursachten Kosten für andere Stakeholder, wie beispielsweise die der Natur, müssten in die Berechnungen der Rentabilität und Wirtschaftlichkeit von Unternehmen eingerechnet werden. In diesem Kontext existieren bereits Überlegungen bspw. in Bezug auf die Berücksichtigung des Naturkapitals. Zwar bliebe das unternehmerische Paradigma der Kosten- und Ertragsrechnung bestehen, würde jedoch um diese Kosten erweitert.
Nicht alle Interessen aller Stakeholder können mathematisch beziffert und in die Kosten- und Leistungsrechnung eines Unternehmens aufgenommen werden. Es obliegt weiterhin den Führungskräften oder, wie Prof. Leisinger sagt, den wünschbaren Führungspersönlichkeiten in der Privatwirtschaft, Politik sowie im sozialen und wissenschaftlichen Bereich, diese Herausforderung anzunehmen und ihre Organisationen sowohl intern als auch extern so zu leiten und zu vertreten, dass die Erwartungen der Zivilgesellschaft besser repräsentiert werden.
Klaus Leisinger ist ein führender deutscher Ökonom und Ethiker, der sich auf Themen wie Unternehmensverantwortung, nachhaltige Entwicklung und globale Gesundheit spezialisiert hat. Er ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Novartis Stiftung und hat durch seine Arbeit international maßgeblich zur Diskussion über ethisches Wirtschaften beigetragen.
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