Über ökologische Landwirtschaft, die gemeinsame Agrarpolitik der EU, wie es zu den Bauernprotesten kam und diese Entwicklungen sinnvoll reflektiert werden können.
Was ist ökologische Landwirtschaft und warum ist diese wichtig?
Der Begriff der ökologischen Landwirtschaft ist in aller Munde. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft definiert den ökologischen Landbau als „eine besonders ressourcenschonende und umweltverträgliche Wirtschaftsform, die sich am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert.“ [1]. Diese recht allgemeine Definition wird in der Praxis durch eine ganze Reihe von staatlichen und privatwirtschaftlichen „Öko-Siegeln“ mit jeweils unterschiedlichen Regelungen konkretisiert. Gegenüber dem konventionellen Landbau grenzt der ökologische sich im allgemeinen durch den geringeren Einsatz von Pestiziden und den Verzicht auf synthetische Düngemittel ab.
Bis 2030 sollen laut der Bundesregierung 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland nach ökologischen Standards bewirtschaftet werden. Damit soll das Klima, die Umwelt und Ressource Wasser geschützt und zum Erhalt von Biodiversität beigetragen werden [2]. Denn Klimaveränderungen bedrohen unsere Ernten [3] und auch die Biodiversität ist für die Fruchtbarkeit unserer Böden wichtig, da viele Kleinlebewesen sogenannte Ökosystemdienstleistungen zur Verfügung stellen. Sie bestäuben nicht nur Nutzpflanzen, sondern zersetzen auch Pflanzenreste und machen so wichtige Nährstoffe wieder für das System nutzbar [4]. Daneben sind gesunde Böden wichtig für unser Klima, da sie CO2 binden können und essenzieller Bestandteil von Wasserkreisläufen sind [5].
Zur Historie der EU-Agrarpolitik
Auch in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU wird ein wachsendes Bewusstsein für einen nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen sichtbar. Zu Beginn waren während der Nachkriegszeit die Stabilisierung der Märkte und eine hohe Produktivität die zentralen Ziele, um die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu sichern. Auch wurde die innergemeinschaftliche Erzeugung priorisiert, wodurch die EU mehr Lebensmittel exportieren konnte, als sie importieren musste. Während der 1970er und 80er Jahre entstanden in Folge dieser Politik Produktionsüberschüsse, sogenannte „Milchseen, Butter- und Getreideberge“. Um dem zu begegnen, folgte 1992 ein Übergang von der Preis- hin zur Einkommensstützung. Auch fand durch Maßnahmen wie Extensivierung und Aufforstungen die Nachhaltigkeit nun Berücksichtigung. Neben der ersten Säule der landwirtschaftlichen Förderung, die Direktzahlungen je Hektar einer landwirtschaftlichen Fläche an LandwirtInnen ausschüttet [6], wurde bereits 1988 eine 2. Säule zur Förderung des ländlichen Raumes und dem Ausbau von Infrastrukturen eingeführt, und in den folgenden Jahren weiter ausgebaut. Preisstützungen wurden fortlaufend abgebaut und Förderungen in Form von Direktzahlungen erhöht, deren Ausschüttung zunehmend an Umweltauflagen geknüpft wurden. Insgesamt wurde die Marktorientierung des Agrarsektors verstärkt, mehr ökologische Auflagen eingeführt und regionale Förderungen ausgebaut [7, 8].
In dieser Entwicklung sehen Daugbjerg & Feindt [9] den Wandel einer exzeptionalistischen Politik hin zu mehr Marktorientierung. Exzeptionalismus meint dabei eine besondere Behandlung eines Sektors durch die Regierung aufgrund von Faktoren wie natürlichen Risikofaktoren, niedrigen Einkommen und der strukturellen Wichtigkeit für den Staat. In der Nachkriegszeit wird das durch die starke staatliche Unterstützung der Landwirtschaft sichtbar. In den 1990er Jahren findet eine durch den aufkommenden Neoliberalismus ausgelöste Veränderung statt, als sich die Politik von der Preisstützung abwendet und die Lebensmittelproduktion wieder durch den Markt reguliert werden soll. Diese Transformation wurde jedoch nicht vollständig vollzogen, denn staatliche Förderungen sind noch immer eine essenzielle Einkommensquelle für LandwirtInnen. Diesen Zustand nennen die Autoren Post-Exzeptionalismus, der eine unvollständigen Transformation von Ideen, Institutionen und Gesetzen mit einem bleibenden Vermächtnis vergangener Politik meint. Auch im Bereich von Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit wird dies sichtbar. Einerseits muss der Schutz von Böden und Biodiversität gesichert werden, gleichzeitig herrscht in der Landwirtschaft in vielen Köpfen noch immer ein produktivistisches Paradigma vor. Dabei steht Produktivismus für das Ziel einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen, also für eine intensive landwirtschaftliche Bewirtschaftung. Das macht politische Entscheidungen umso komplexer, wenn langfristige Ziele wie Nachhaltigkeit mit bestehenden Überzeugungen in Konkurrenz stehen. [9]
Laut Fickel & Anderl [10] spannt sich in der deutschen Landwirtschaft ein Feld der politischen Positionierungen aus vier Paradigmen auf: Produktivismus, Multifunktionalismus, Nationaler Protektionismus und Marktliberalismus. Dies stellt einerseits das Spannungsfeld zwischen einem möglichst hohen Ertrag als Ziel des Produktivismus, und dem Anspruch des Multifunktionalismus an die Landwirtschaft vielfältigen Aufgaben nachzukommen, dar. Daneben steht die Diskussion inwieweit der Staat die Landwirtschaft im Sinne des nationalen Protektionismus fördern, oder ob Agrarunternehmen dem Marktliberalismus folgend eigenständig dem freien Markt standhalten können sollten. Hier spiegelt sich die Idee der „Incomplete Transformation“ nach Daugbjerg & Feindt wider.
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz plädierte 2018 für einen schrittweisen Ausstieg aus dem Direktzahlungssystem und einer gezielteren Honorierung öffentlicher Güter, um mehr Umwelt- wie Klimaschutz umzusetzen [8]. Flächengebundene Direktzahlungen würden zum großen Teil an Bodeneigentümer weitergereicht und wären nicht an der Bedürftigkeit von LandwirtInnen orientiert. Stattdessen sollten Fördermittel bedarfsgerecht verteilt und an Gemeinwohlleistungen geknüpft werden. Dafür wurden auch konkrete Veränderungen in der GAP sowie dem dahinterstehenden Verwaltungsapparat vorgeschlagen [11]. Damit wird eine Fortsetzung der Transformation zum Multifunktionalismus gefordert.
Teile dieser Forderungen finden sich in der 2021 verabschiedeten GAP wieder, bei der unter anderem kleine Betriebe und junge LandwirtInnen eine bessere Unterstützung erfahren sollen [12]. Es wurden zehn Hauptziele formuliert, die wirtschaftliche, biologische wie soziale/strukturelle Dimensionen umfassen. Zunächst ein gerechtes Einkommen, Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und mehr Preisstabilität für LandwirtInnen in der Wertschöpfungskette. Daneben finden Klimaschutzmaßnahmen, der Schutz natürlicher Ressourcen wie Boden und die Sicherung der Wiederherstellung biologischer Vielfalt, Platz. Konkret gibt es dafür unter anderem Förderung von nicht-produktiven Flächen, Dauergrünflächen mit regionalen Kennarten und Zahlungen für den Verzicht auf Pflanzenschutzmitteln. Innerhalb der 2. Säule werden 52 % der EU-Mittel in die „Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“ investiert [12]. Außerdem sollen junge LandwirtInnen unterstütz werden, ländliche Gebiete gefördert, Lebensmittelqualität gesichert und der Zugang zu Wissen und Innovation verbessert werden. [13]
Kritik an der aktuellen Agrarpolitik und Protestbewegungen
Die Agrarpolitik der EU erfährt jedoch auch starke Kritik von LandwirtInnen und Verbänden, welche 2023 in die sogenannten „Bauernproteste“ mündete. Auslöser dieser war die Ankündigung einer Kfz-Steuer für Landwirtschaftsfahrzeuge, sowie die Abschaffung von Steuervorteilen für Agrardiesel. Konkrete Kritikpunkte waren hier die finanzielle Mehrbelastung der Betriebe, außerdem gäbe es keine umweltfreundlichen Alternativen, auf die die LandwirtInnen zurückgreifen könnten, wodurch sich keine klimaschonenden Effekte ergeben würden. [14]
Während die Agrarpolitik von Teilnehmenden der Protestbewegung und Verbänden kritisiert wird, stehen auf der anderen Seite LandwirtInnen, die sich für mehr Nachhaltigkeit, Tierschutz und ökologischen Landbau einsetzen: jedes Jahr gehen tausende von ihnen im Rahmen der „Wir haben es satt“ Demonstrationen auf die Straße [15]. Doch wenn ökologisches Wirtschaften so wichtig ist und auch gefordert wird, worin begründen sich die zahlreichen Stimmen der Kritik und der Unwille zur Veränderung?
Innerhalb der politischen Landschaft nach Fickel & Anderl lassen sich verschiedene „Farming Styles“ als auch Interessensverbände verorten, die unterschiedlich auf die politischen Veränderungen reagieren. Sie argumentieren dafür, dass „Yield Optimizer“ (LandwirtInnen, die möglichst hohe Erträge anstreben) und „Traditionals“ (konservative LandwirtInnen, die Veränderung kritisch gegenüberstehen) besonders von der Protestbewegung angesprochen wurden und zusammen auf die Straße gingen, obwohl ihre Interessen doch stark unterschiedlich sind. Gründe dafür sehen Sie unter anderem in der Machtverteilung und bestehenden Affektschranken. [10]
Hinsichtlich einflussreicher Machtstrukturen wird vor allem der Deutsche Bauern Verband in seinem starken Einfluss auf die Politik kritisiert. Der DBV setzt auf Marktliberalismus wie Produktivismus, was oft in Konkurrenz zu den Nachhaltigkeitszielen der Regierung steht. Auch kommt seine politische Arbeit mehr den großen Agrarunternehmen zugute als kleinen Betrieben. Also den „Yield Optimizern“, während die „Traditionals“ vor allem durch den Auftritt des DBV angesprochen werden. [10]
Unter Affektschranken verstehen die Forscher negative Affekte gegenüber einem Thema, hier dem Paradigma des Mulitfunktionalismus, die mit Vorurteilen einhergehen und einen Diskurs darüber erschweren. Die Entstehung dieser Schranken begründet sich aus dem Erfahren von negativen Konsequenzen unterschiedlicher Art. Einmal führen Naturschutzvorgaben immer wieder zu Ertragseinbußen und Handlungseinschränkungen. Durch den gerade stattfindenden gesellschaftlichen Strukturwandel erleben LandwirtInnen zudem einen Anerkennungsverlust ihrer Arbeit und den von ihnen produzierten Gütern wie Nahrungsmittel. Als dritter Grund kann angeführt werden, dass die Vorgaben durch die EU zu einer wachsenden Bürokratie und neuen Kontrollmechanismen führen, denen sich die LandwirtInnen gegenüber sehen. All das lässt den Frust auf den Höfen wachsen und trägt zu einer Abwertung des Multifunktionalismus und damit zu lauter Kritik gegen die Agrarpolitik der EU bei. [10]
Auf der anderen Seite gibt es auch „Farming Styles“, die von Bestrebungen die Landwirtschaft ökologischer zu gestalten angesprochen werden. Die „Support Optimiser“ (LandwirtInnen, die ihre Betriebe besonders an die momentane Förderstruktur anpassen), als auch die „Idealists“ (LandwirtInnen mit einer starken intrinsischen Motivation sich für Umweltschutz einzusetzen) schöpfen die, durch den Wandel der GAP zu mehr Nachhaltigkeit und ökologischer Landwirtschaft, neu entstandenen Fördermöglichkeiten (wie Förderungen von Flächen zur Verbesserung der Biodiversität und extensiver Bewirtschaftung von Dauergrünflächen [12]) gerne aus. [10]
Aufgrund des Klimawandels und der Überschreitung unserer planetaren Grenzen ist eines längs klar und wissenschaftlich gut belegt: die Landnutzungswende ist notwendig und unvermeidbar, wenn die Ressourcen unseres Planeten weiter für zukünftige Generationen nutzbar sein sollen.
Die Analyse der Paradigmen und Positionierungen gegenüber der europäischen Agrarpolitik zeigen, dass die Politik die Transformation der Landnutzung nicht überzeugend an BürgerInnen vermitteln konnte. Wir stehen vor einer unvollständigen Transformation der Landwirtschaft, die ein weites Spannungsfeld zwischen Zielen, Institutionen und Paradigmen zur Folge hat. Die Frage, die sich nun stellt und beantwortet werden muss, ist, wie sich die Akzeptanz für bevorstehende Veränderungen bei LandwirtInnen aller „Farming Styles“ entwickeln lassen und die begonnene Transformation vollendet werden kann.
Bibliographie
[1] BMEL (2024a): Ökologischer Landbau. https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/oekologischer-landbau/oekologischer-landbau_node.html (letzter Stand 05.01.25).
[2] BMEL (2024b): Bio-Strategie 2030 – Nationale Strategie für 30 Prozent ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft bis 2030. https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/oekologischer-landbau/bio-strategie-2030.html (letzter Stand 05.01.2025).
[3] BMEL (2024c): Erntebericht 2024: Klimafolgen mindern Erträge deutlich. https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/085-erntebericht-2024.html (letzter Stand 05.01.2025).
[4] Umweltbundesamt (2024): Gefährdung der Biodiversität. https://www.umweltbundesamt.de/themen/landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/gefaehrdung-der-biodiversitaet (letzter Stand 05.01.2024).
[5] Bornhorst et al. (2024): Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Biodiversität: Ethische Perspektiven für die globale Landnutzung. Studien der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ Bd. 23.
[6] BMEL (2024d): Grundzüge der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und ihrer Umsetzung in Deutschland. https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/gap/gap-nationale-umsetzung.html (letzter Stand 15.01.2025).
[7] BMEL (2022): Geschichte der Gemeinsamen Agrarpolitik. https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/gap/gap-geschichte.html (letzter Stand 27.01.2025).
[8] BPB (2021): Die Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. https://www.bpb.de/themen/umwelt/landwirtschaft/327284/die-entwicklung-der-gemeinsamen-agrarpolitik-der-eu/ (letzter Stand 07.01.2025).
[9] Daugbjerg & Feindt (2017): Post-exceptionalism in public policy: Transforming food and agricultural policy. In Transforming Food and Agricultural Policy (pp. 1-20). Routledge.
[10] Fickel & Anderl (2024): Markt, Macht und Affekt: Ein Erklärungsversuch der widersprüchlichen Landwirtschaftsproteste in Deutschland. Forschungsjournal Soziale Bewegungen, 37(2), 174-195.
[11] WBAE (2018): Für eine gemeinwohlorientierte Gemeinsame Agrarpolitik der EU nach 2020: Grundsatzfragen und Empfehlungen. Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Stellungnahme, Berlin.
[12] BMEL (2023): Den Wandel gestalten! Zusammenfassung zum GAP-Strategieplan 2023-2027. https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Landwirtschaft/EU-Agrarpolitik-Foerderung/gap-strategieplan-kurzueberblick.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (letzter Stand 20. März 2023).
[13] EU Agriculture: Wichtigste politische Ziele der GAP 2023-2027. https://agriculture.ec.europa.eu/common-agricultural-policy/cap-overview/cap-2023-27/key-policy-objectives-cap-2023-27_de (letzter Stand 13.01.2025).
[14] Umweltinstitut (2024): Bauernproteste: es geht längst nicht mehr um den Dieselpreis. https://umweltinstitut.org/landwirtschaft/meldungen/bauernproteste-es-geht-laengst-nicht-mehr-um-den-dieselpreis/ (letzter Stand 13.01.2024).
[15] Wir haben es satt: Rückblick. https://www.wir-haben-es-satt.de/informieren/rueckblick (letzter Stand 27.01.2025).
Empfehlenswert ist dazu auch die Seite des Bundes der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft, Dachverband der großen Biomarken: https://www.boelw.de/service/bio-faq/landwirtschaft/artikel/was-ist-oekologische-landwirtschaft/