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Stefan Koask

Nachdenken über Nachhaltigkeit: Versuch, einem Unbehagen auf die Spur zu kommen

Nachhaltigkeit ist eines der wichtigsten Schlagworte unserer Zeit. Es gibt nachhaltige Mode, nachhaltige Ernährung, nachhaltiges Wachstum, nachhaltigen Urlaub, nachhaltiges Bauen, nachhaltige Rendite, nachhaltige Landwirtschaft – und sogar nachhaltige Autobahnen. Schon ein flüchtiger Blick zeigt, dass das, was als nachhaltig bezeichnet wird, sehr unterschiedlicher Natur ist. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass sich manche Dinge, die als nachhaltig bezeichnet werden, diametral gegenüberstehen. Auf der einen Seite steht die Idee der ökologischen Nachhaltigkeit, wie sie z. B. in der Formulierung der Vereinten Nationen oder im Drei-Säulen-Modell zum Ausdruck kommt, und die Projekte und Maßnahmen, die im Sinne dieser Idee verfolgt werden. Auf der anderen Seite stehen Unternehmen mit ihrem Bemühen um nachhaltiges Wachstum, das gerade keine Rücksicht auf ökologische Belange nimmt.


Vor diesem Hintergrund drängt sich eine Reihe von Fragen auf. Wenn so Unterschiedliches, ja Widersprüchliches als nachhaltig bezeichnet wird, was macht Nachhaltigkeit dann eigentlich aus? Ist Nachhaltigkeit vielleicht nur eine Worthülse, die Hoffnungen weckt, aber die Realität verschleiert? Ist Nachhaltigkeit nicht die Lösung für die ökologischen Krisen unserer Zeit, sondern Teil des Problems? Muss der Begriff in seiner Bedeutung geschärft werden, um ihm die nötige Aussagekraft zu verleihen? Oder sollte er besser aufgegeben und durch andere, aussagekräftigere Begriffe ersetzt werden?

Die kritischen Anfragen an den Begriff der Nachhaltigkeit erscheinen zunächst einleuchtend. Bei näherer Betrachtung kommen jedoch Zweifel auf. Ist es nicht auch bei anderen Wörtern und Ausdrücken so, dass damit ganz unterschiedliche Dinge bezeichnet werden? Denken wir nur an Begriffe wie Freiheit oder Gerechtigkeit. Oder daran, dass alle möglichen Dinge als Tisch bezeichnet werden, die in Form und Material kaum etwas gemeinsam haben. An dieser Stelle lohnt sich ein kurzer Blick auf die sprachphilosophischen Überlegungen, die Ludwig Wittgenstein in seinen Philosophischen Untersuchungen anstellt. Wittgenstein macht hier deutlich, dass sprachliche Ausdrücke grundsätzlich keine Kernbedeutung haben, die sich aus der Repräsentation äußerer Sachverhalte ergeben würde, und dass sich die Verwendung von Begriffen daher auch nicht aus einer solchen Kernbedeutung ableitet. Vielmehr erhalten Begriffe erst durch ihre Verwendung in unterschiedlichen Handlungskontexten eine jeweils spezifische Bedeutung. Wittgenstein spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten Sprachspielen. Auf diese Weise entsteht ein Geflecht von mehr oder weniger ähnlichen Verwendungen eines Wortes, das letztlich die Gemeinsamkeiten zum Ausdruck bringt, die zwischen diesen unterschiedlichen Verwendungen bestehen. Diese Art von Familienähnlichkeit kann jedoch nicht näher spezifiziert werden.


Für den Begriff der Nachhaltigkeit folgt daraus konkret: Die Bedeutung von Nachhaltigkeit ergibt sich dann gerade aus der Verwendung in unterschiedlichen Handlungskontexten. Aus diesen unterschiedlichen, aber ähnlichen Sprachspielen ergibt sich ein Bedeutungsgeflecht mit mehr oder weniger weitreichenden Verknüpfungen, wobei Nachhaltigkeit für das steht, was all diesen unterschiedlichen Verwendungen gemeinsam ist. Die Bedenken, der Begriff der Nachhaltigkeit sei gegenüber anderen Begriffen im Nachteil ist, weil er inhaltlich unbestimmt und damit beliebig sei, erweisen sich vor diesem Hintergrund als unbegründet. Die Unbestimmtheit, die sich im Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitsbegriff zeigt, ist kein spezifisches Problem dieses Begriffs, sondern ein wesentliches Merkmal von Sprache überhaupt, wobei Unschärfe kein Makel ist, sondern zur Funktion von Sprache gehört.

Trotz dieser Überlegungen, die die Kritik am Nachhaltigkeitsbegriff entkräften, bleibt der Eindruck, dass das Unbehagen am Nachhaltigkeitsbegriff dennoch berechtigt sein könnte. Auf der Suche nach dem Ursprung dieses Unbehagens geraten Fälle in den Blick, in denen von Nachhaltigkeit gesprochen wird, ohne dass aus dem Kontext klar wird, was damit gemeint ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn von nachhaltigem Wachstum die Rede ist, aber unklar bleibt, ob damit ausschließlich stabile Renditeaussichten gemeint sind oder eine wirtschaftliche Entwicklung, die auch ökologischen Gesichtspunkten Rechnung trägt. Die vorangegangenen sprachphilosophischen Überlegungen machen dabei deutlich, wo genau hier das Problem liegt: Die Unklarheit resultiert in diesen Fällen nicht aus der vermeintlichen Inhaltsleere des Begriffs, sondern aus seiner unklaren Verwendung.


Wenn die Aussage insgesamt keine klare Vorstellung davon vermittelt, was mit Nachhaltigkeit gemeint ist bzw. was damit bezweckt wird, ist dies insofern problematisch, als die Rede von Nachhaltigkeit dann zu Missverständnissen führen kann. Die Rede von nachhaltigem Wachstum kann dann z. B. als grünes Wachstum interpretiert werden, obwohl dies aus der Aussage nicht eindeutig hervorgeht. Unklare Äußerungen dieser Art können eine wirkungsvolle Verschleierungstaktik sein, die den weiten Vorstellungshorizont eines Begriffs dazu nutzt, einen falschen Eindruck zu erwecken, ohne etwas Unwahres zu sagen.

Was bleibt in Anbetracht dessen zu tun? Missverständnisse darüber, was gemeint ist, wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, sind grundsätzlich problematisch, weil sie die demokratische Partizipation beeinträchtigen. Denn für diese ist es unerlässlich zu wissen, was die Entscheidungsträger:innen beabsichtigen und wofür sie stehen. Dies gilt nicht nur, aber auch für den Nachhaltigkeitsdiskurs.  Es bedarf einer erhöhten Wachsamkeit, wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist. Es gilt kritisch zu prüfen, ob die Aussage hinreichend klar ist oder ob nicht doch Potenzial für Missverständnisse besteht. Und wo Unklarheiten bestehen, muss nach Möglichkeit versucht werden, das Gesagte zu präzisieren. Hier sind die Öffentlichkeit und die Medien gefordert, letztlich aber auch jede:r Einzelne.


 

Stefan Kosak ist wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Medienethik der HFPH München und am Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg). Dort ist er seit Oktober 2022 in den Bereichen Projektkoordination und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Derzeit promoviert er bei Prof. Claudia Paganini an der HFPH München mit einer Arbeit zur ethischen Dimension der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie von Michael Polanyi.

 

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